Frederik Ernst WoudenbergÜber meinen Freund Frederik Ernst Woudenberg

Frederik Ernst Woudenberg, bekannt als Kinder-Clown, Puppenspieler und Märchenerzähler mit dem Künstlernamen „Clown Waudi“, war eine besondere Gestalt des 20. Jahrhunderts. Zehntausenden war er bekannt. Er war kein Medienstar, und auch im Zirkus oder Varieté trat er nicht auf. Vielleicht ist es richtig zu sagen, er ging zu den Menschen, anstatt die Menschen zu sich kommen zu lassen. Er starb 84jährig am frühen Morgen des 28. November 2001 in Holland, und hat damit sein Leben gerade noch bis in das neue Jahrtausend hinein geführt. In seinem Abschiedsjahr beschenkte er noch viele Menschen auf einer großen Sommertournee.

Er spielte und lehrte in diesem Jahr bei einer großen Reise durch Deutschland vom Norden bis in den Süden, in Österreich, Slowenien, im bosnischen Sarajevo und bei einem Märchenfestival in Dubrovnik in Kroatien.

In vielen Märchen-Theater-Vorstellungen trat er über 40 Jahre lang in seinem roten und grünen Kostüm aus Samt und Seide auf, den Hut mit dem roten Bommel vorn auf dem Kopf. Dieser Hut war ihm ein Ausdruck autonomer menschlicher und vor allem kindlicher Persönlichkeit. Die Mützenform hatte er Napoleon abgeguckt und als Pädagoge pflegte er zu sagen und zu lehren: Jedes Kind ist ein kleiner Napoleon, das ist zu berücksichtigen, wenn man für Kinder als Clown arbeitet.

Frederik Ernst WoudenbergIn der eindrucksvollen Adria-Stadt Dubrovnik, der letzten Station der Sommer-Tournee im Jahr 2001, bei einem Internationalen Märchen- und Erzählfestival, gab er noch einmal eine Essenz seines Könnens zum besten. Vor Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen zeigte er Wauwaudeli, sein “Puppenkind“, auf der schönen goldenen Leier sitzend, und sein Spielchen mit ihm treibend. Das Kind, besonders im Kindergartenalter und in der Heilpädagogik, benötige die Puppe, legte er ihnen ans Herz. «Arbeiten Sie damit, und Sie werden ein Zaubermittel in der Hand haben, mit dem Sie die Seelen der Kinder berühren. Der Kopf der Puppe sollte groß sein wie ein Mond, das ist das Kind selber.»

Frederik Woudenberg ist 1917 in Rotterdam zur Welt gekommen. Er hatte neun Geschwister. Der Vater war ein Lebensmittelhändler für Flussschiffe, der als “Parlevinke“ in einem Ruderboot seine Waren ausrief. Frederik lernte nach einem Schulcrash, der ihm die Wunschberufe Arzt oder Priester verwehrte, früh Buchführung und Schreibmaschine schreiben, half dem Vater im Geschäft. Doch heimlich ließ er sich nebenbei als Pantomime und Tänzer ausbilden. Er brachte es bis zum Solo-Tänzer bei Mary Wigman und Carl Orff an der Leipziger Oper. Wie er dorthin kam? Im Krieg als holländischer Zwangsarbeiter, weil die deutschen Tänzer als Soldaten eingezogen waren! Noch während des großen Erfolges als Solotänzer in der „Carmina Burana“ wusste Frederik, dass dieser Erfolg nicht das war, was er in der Zukunft wollte. So lernte er nach dem Krieg den Beruf des Heilpädagogen bei dem holländischen Arzt und Anthroposophen Dr. Bernard Lievegoed in einem heilpädagogischen Kinderheim in Zeist. In seinem Pass stand sein Leben lang die Berufsbezeichnung „Heilpädagoge“. Und das war er insgeheim auch immer gewesen. Ein heilender Erzieher seines Publikums.

Frederik Ernst WoudenbergDer mit allen Wassern gewaschene Tänzer lernte in der Heilpädagogik die Eurythmie, eine durch Rudolf Steiner inaugurierte Bewegungskunst mit einer Weiterentwicklung zur heilenden Bewegungskunst (Heileurythmie) kennen. Er schloss nun eine Eurythmie-Ausbildung bei Lea van der Pals in Dornach an. Die berühmte russische Eurythmistin Savitch sah ihn und meinte: «Junger Mann, sie sind begabt, aus Ihnen mache ich etwas.» Frederik Woudenberg, der schon damals auf seine Autonomie bedacht war (siehe den roten Bommel auf dem Napoleon-Hut!), antwortete: «Danke schön, gnädige Frau, aber der junge Mann macht selber etwas aus sich.» Er wurde dann Lehrer an einer Waldorfschule und bald darauf Leiter eines in integrativen Kindergartens in Zürich.

Das Märchenerzähl-Theater, das Puppenspiel und die unnachahmliche Clown-Waudi-Figur entwickelte er im Kindergarten und an den Betten kranker Kinder in Schweizer Spitälern. Er war ein Pionier, von dem man heute gar nicht weiß, dass er wahrscheinlich der erste „Klinik-Clown“ überhaupt war.

Frederik Ernst WoudenbergVon 1963 bis 1986 reiste Clown Waudi durch viele europäische Länder. Über 7000 Vorstellungen habe es allein mit dem Handpuppenspiel „Das Eselein“ gegeben. In vielen Häusern brach das so genannte Waudi-Fieber aus, wie er es nannte, denn er wurde mitsamt seiner Handpuppe Wauwaudeli heiß geliebt von Zigtausenden von Kindern. Es gelang ihm durchaus, einen Saal mit zweihundert heilpädagogischen Schülern von der ersten bis zur achten Klasse für eineinhalb Stunden mit seinem “Eselein“ als Kernvorstellung so zu beschäftigen, dass kein Mucks zu hören war, auch nicht von den großen Schülern. Er spielte in Schulen, in Theatern, für Schwerverbrecher im Gefängnis, ging mit seinem Märchenerzähltheater in Kinderheime, trat vor schwierigsten Kindern und Jugendlichen auf. Und es gelang. Und er wurde geliebt.

Viele längst erwachsene Menschen erinnern sich heute noch mit strahlenden Gesichtern an Clown Waudi und manches Mal auch zutiefst berührt, denn er brachte es fertig, dass die Kinder sich von ihm restlos verstanden und geliebt fühlten. Auch sein Erzähltheater für Jugendliche und Erwachsene hatte eine ähnliche Wirkung.

Frederik Ernst WoudenbergTrotzdem kam es immer wieder vor, dass er abgelehnt wurde. Vielleicht lag es am roten Bommel auf dem Hut, vielleicht waren Neid, Missgunst, Dogmatismus und Engstirnigkeiten im Spiel. Oder war es Furcht vor der unbürgerlichen Lebensweise einer Künstlerpersönlichkeit, vor dem Spiel mit Unsicherheit und Mut, vor der Souveränität des künstlerischen Handwerks bei gleichzeitiger Offenheit und Blöße gegenüber der jeweils neuen Situation? Ist es nicht zuletzt die künstlerische Aufgabe und besonders die eines Clowns, Projektionsflächen anzubieten auch für das, was wir nicht gerne von uns sehen wollen?

Der Vollblutkünstler, Heilpädagoge und Pädagoge handelte aus tiefen menschenkundlichen Quellen, aber nicht nach gängigen Dogmen. Er hatte die Anthroposophie gründlich verdaut und er war ein frommer Mensch.

Er spiegelte als Clown sein Publikum. Wenn da jemand mit säuerlicher Miene puritanisch im Publikum saß, ließ ihm das keine Ruhe. Dann konnte er bis zur Penetranz von der Bühne herunter wirken, weil er sich in der Spiegelung und Provokation dieser Person verhakte. Aufgesetzte, aus unbelebten Vorstellungen heraus diktierte darstellerische oder pädagogische Methoden lehnte er heftig als unwahr ab. Aber wenn das Spiel gelang, wenn die Mischung stimmte, dann, so stellte er dankbar fest, hätten «die Engel kübelweise Rosen ausgeschüttet».

Er liebte Rosen über alle anderen Blumen. Das Grimmsche Märchen vom Eselein, das er ganz umgeschmolzen hatte, endete bei ihm glücklich im Rosengarten, dem neuen Paradies, unter den Augen des königlichen Vaters. «Prinzessin, im Rosengarten, lass deinen Königssohn nicht so lange warten!» So rief der Puppenspieler oft in seinem Spiel vom „Eselein“ und ließ diesen Ruf vom Publikum melodiös und rhythmisch an- und abschwellen, bis endlich die Erlösung zelebriert wurde. Er war ein Meister des Laut und des Leise und der Temperamente.

Frederik Woudenberg war der griechischen Philosophie Platos sehr verbunden, er lebte aus einem griechischen Strom in seiner lebendigen Denkweise und Ästhetik. Gern spielte er den Sokrates für uns, seine Freunde und Lehrlinge, stellte schwierige Fragen und brachte uns zum Staunen und Nachdenken über „Gott und die Welt“.

Wer sich von Frederik Woudenberg und seiner Figur des Clowns Waudi einmal verzaubern und seine Seele berühren ließ, vergisst das nicht. Als großer Künstler, der scheinbar leicht in seiner Kunst den Heiler und Priester versteckt hatte, schenkte er so vielen Menschen ergreifende Begegnungen mit sich selber, mit ihrem eigenen Wesen.

Frederik Ernst WoudenbergWas hier noch privat von ihm zu erzählen ist, sei die Verbindung mit Eric van der Ploeg, seinem Lebenspartner, der einige Jahre vor ihm starb. Der um viele Jahre jüngere Eric litt unter einer sehr schmerzhaften und schweren rheumatischen Erkrankung. Er war Altphilologe und konnte schon früh nicht mehr als Lehrer arbeiten. In der gemeinsamen Wohnung in Rotterdam malte der kleine verkrüppelte Mann in einem winzigen Atelierraum zauberhafte bunte Bilder. Diese Bilder erzählen poetische Geschichten von “Clown Waudi“. “Er malt wie ich spiele“, sagte dieser zu Erics Bildern. Nach Erics Tod geriet Frederik in eine lange und schwere Depression. Nachbarn und Freunde versuchten zu helfen, und schließlich kam er wieder in jedem Frühjahr zu uns nach Norddeutschland und erfreute uns mit seinem Spiel und seiner Freundschaft. Die Sommermonate verbrachte er meistens in Griechenland.

Vier Wochen lag Frederik Woudenberg, nach einem schweren Schlaganfall im Spätherbst 2001 in einem Rotterdamer Krankenhaus. “Sei ein Segen für die Menschen“, war sein lebenslanges Motiv, und er segnete auch in den letzten Tagen noch ganz konzentriert mit den wenigen Möglichkeiten des gelähmten Körpers, angestrengt mit dem Auge, leicht mit der rechten Hand.

Frederik Woudenberg ist heimgekehrt zu seinem Ursprung, wie er mitteilen ließ. Er hat die vergängliche Eselshaut ablegen dürfen. Als Clown Waudi schloss er seine Vorstellungen oftmals, auf einem Hocker sitzend, die goldene Leier auf den Knien, mit einem kleinen Lied: „Auf Wiedersehn, es war so schön, komme das nächste Mal wieder!“

Micaela Sauber

Wolfgang Bade, langjähriger Assistent von Clown Waudi, gab seine Erfahrungen und Kenntnisse zu diesem Nachruf.